2009-04-16

SOAP&SKIN - Liebeslieder für das Vakuum



Nachträgliches Vorwort:

Lovetunes for Vacuum. Also nichts. Oder besser gesagt, etwas, das nicht überleben kann.

Tunes, also Lieder, Schallwellen, können im Vakuum nicht sein.

Sind nun diese Lovetunes im Nicht-Vakuum produziert und werden in selbiges geschickt um zu vergehen, oder sind diese Lovetunes im Moment ihres Entstehens bereits nichts? Oder geht es in Lovetunes for Vacuum um eine Liebeserklärung an das Vakuum, an das Nichts der Musiker.

Ich will mir nicht anmaßen, hier eine umfassende Kritik von SOAP&SKINs Album "Lovetune for Vacuum" zu schreiben, aber ein paar Bemerkungen drängen sich auf, nachdem ich in den letzten Tagen die Platte immer wieder mit gemischten Gefühlen gehört habe.

SOAP&SKIN ist Anja Plaschg, 18 Jahre alt, ihre Eltern haben im Steirischen einen Schweinemastbetrieb. Sie ist so zerbrechlich wie smart. Ihr erstes Album "Lovetune for Vacuum" ist radikal. Radikal in seiner einfachen Musik-Sprache und in der extrovertierten In-sich-gekehrtheit des Menschen, der uns hier an seinen Schmerzen und Ängsten teilhaben lässt. Seelenstrip, ja, aber. Vollblutkünstlerin, ja, ohne aber. Aus innerer Getriebenheit, Besessenheit? Wenn ich das einem heutigen Künstler abnehme, dann SOAP&SKIN.

Sie schenkt sich dem Publikum in dem Maße, in dem sie sich ihm verweigert. Wenn man bei der CD nach den Texten oder zusätzlicher Info sucht, wird man zunächst nicht fündig. Bei näherem Hinsehen stellt man aber fest, dass die Texte auf der Innenseite der Kartonhülle stehen. Will man sie lesen, muss man die Hülle aufreissen. Will man das Ganze wieder als Hülle verwenden, muss man die Ränder wieder verkleben. Dann kann man aber die Texte nicht mehr lesen. SOAP&SKIN macht keine Kompromisse, sie verlangt eine Entscheidung. Um ihr näher auf die Spur zu kommen, muss man Grenzen überschreiten. Um in sie zu dringen, muss man sie verletzen. Es scheint fast so, dass der Schmerz des sich Offenbarens integraler Teil der Kunst von SOAP&SKIN ist. Diesen Schmerz fügen wir, die anderen, die Beobachter, der Künsterlin zu. Und zwar als aktive Handlung. Unsere Handlungen haben Konsequenzen. Welch vollendete Form der Interaktion zwischen Künstler und Rezipient.

Was die eindringliche Musik angeht: Das Klavier klingt einmal nach Enya, ein andermal nach dem tintinabulischen Arvo Pärt, aber meistens nach Anja Plaschg, die relativ unkompliziert und ohne viel Mätzchen das Instrument gekonnt zur Begleitung ihrer schaurigen Tagebucheinträge benützt. Die Beherrschung des Klaviers hat sie in einer klassischen Ausbildung gelernt. Die Sounds aus dem Computer sind dabei kreativ-stimmig und geben dem Album einen unverwechselbaren Charakter. Die Musik und die Texte sind alle von Anja Plaschg selbst. Auch bei der Produktion hat sie sich dem Vernehmen nach wenig dreinreden lassen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum dieses Album eine gute Chance hat, auch außerhalb Österreichs wahrgenommen zu werden. Das ist das Positive daran. Der negative Aspekt der kompromisslosen Do-it-yourself-Einstellung ist freilich, dass das Englische der Anja Plaschg manchesmal schwächelt. Bei einer (aal-)glatten Fließbandproduktion á la "die neuen Österreicher" wären diese Schwächen sicher ausgemerzt worden. Es ist keine Frage, was ich persönlich bevorzuge. Anja Plaschg hat es richtig gemacht.

Das zweite Unverwechselbare neben den Computersounds ist wohl Plaschgs Gesang, der - bar jeglicher Starmaniabeurteilungskriterien - fesselt, betört und schockiert. Wenn sich in "Spiracle" sanft zerbrechlich gesäuseltes Please help me! abwechselt mit verzweifelten Schmerzensschreien, tauchen schon einmal Bilder wie aus einem Horrorfilm auf, wo eine leidende Seele aus dem Jenseits um Hilfe ruft. Das Kind in "Spiracle" tötet Schnecken, indem es Holzästchen in deren Atemlöcher (spiracles) bohrt. Vielleicht steigt dieses selbe Mädchen ja demnächst triefend nass mit gesenktem Kopf und langen schwarzen Haaren aus einem TV-Gerät.

Die verzweifelten Rufe kehren in "Marche funebre" wieder. Die Nummer stampft mit computergenerierten Streicherakkorden unerbittlich dahin und zerrt unheimlich an den Nerven. "The Sun" kann wohl als Hit bezeichnet werden, aber auch dieses Stück ist schwerer Tobak. Die sterbende Sonne über uns, die SOAP&SKIN sich selbst als brennendes schwarzes Loch empfinden lässt. Die Platte ist also ganz und gar nichts für die seichte Unterhaltung, vielmehr verhindert sie eine solche.

Verwunderlich, dass sich das Werk so gut verkauft. Und ein Werk ist es. Das Erstlingswerk der Künstlerin Anja Plaschg. Ich gratuliere herzlich. Obwohl die offensichtliche leidende Verwobenheit der Anja Plaschg mit ihrer Musik, die schonungslose Offenheit und Radikalität in der Darstellung, ein ungemütliches Gefühl in mir verursacht. Man könnte jetzt sagen: Sehr gut, genau das hat die Künstlerin bezweckt! Ich würde aber eher dazu tendieren zu sagen: Anja Plaschg bezweckt gar nichts. Sie ist.

Ronny Romeroson